Maßnahmen zur Einschränkung von Grundrechten und Freiheiten müssen in einem demokratischen Rechtsstaat immer der Verhältnismäßigkeit unterliegen. Laut Art. 16 der italienischen Verfassung kann jeder Staatsbürger sich frei in jedem Teil des Staatsgebietes bewegen und aufhalten, vorbehaltlich der Beschränkungen, die das Gesetz aus Gründen der Gesundheit oder Sicherheit allgemein vorschreibt. Keinerlei Beschränkung darf aus politischen Gründen festgesetzt werden. Nun sind streng genommen die Notstandverordnungen von Landeshauptmann Kompatscher kein Gesetz. Dennoch stehen derzeit aufgrund zweier Verordnungen, der Dringlichkeitsmaßnahme des Landeshauptmannes bei Gefahr im Verzug Nr. 8/2021 vom 17.02.2021 und der Verordnung Nr. 9/2021 vom 20.02.2021, die Gemeinden Meran, Riffian, Moos in Passeier, St. Pankraz weiters Mals, Lana, St. Martin in Passeier, Kuens und St. Leonhard in Passeier unter einem besonderen Regime, welches vorerst bis zum 7. März 2021 jede Bewegung in das oder aus dem Gemeindegebiet untersagt, es sei denn, diese Bewegungen oder Situationen sind durch nachgewiesene Notwendigkeit oder Dringlichkeit begründet. Zudem sind die Bewegungen nur möglich, wenn ein negatives Ergebnis eines Antigen- oder PCR-Abstrichtests, das nicht älter als 72 Stunden ist, vorgelegt wird. Hintergrund für diese drastischen Maßnahmen, die die genannten Gemeinde de facto zum Sperrgebiet machen, sei der erfolgte Nachweis des Vorhandenseins der südafrikanischen Mutante des SARS-CoV-2-Virus in den betroffenen Gemeinden. Das alles ändert nichts daran, dass – wie eingangs schon aufgezeigt – jede Einschränkung von Grundrechten und Freiheiten der Staatsbürger dem Prinzip der Verhältnismäßigkeit unterliegen müssen.
Ein Blick auf die von der Autonomen Provinz Bozen und dem Südtiroler Sanitätsbetrieb veröffentlichten aktuellen "Infizierten"-Zahlen, also der Anzahl der auf das SARS-CoV-2-Virus positiv Getesteten (abzüglich der Geheilten und Verstorbenen), zeigt jedoch auf, dass die von Landeshauptmann Arno Kompatscher getroffenen Maßnahmen durchaus jeder Verhältnismäßigkeit entbehren könnten.
Beispiel Meran:
Meran hat laut Stand vom 31.12.2019 rund 41.000 Einwohner. Am Freitag (26.02.2021) hat der Südtiroler Sanitätsbetrieb die aktuellen Zahlen zu den Coronavirus-Fällen mitgeteilt. Zieht man in Meran von der Zahl der insgesamt positiv Getesteten die Zahl der offiziell als genesen geltenden Personen sowie die Zahl der Verstorbenen ab, so gibt es aktuell in Meran 16 sogenannte "Infizierte". Wobei bei dieser Angabe noch nicht einmal unterschieden wird, ob es sich bei den 16 "Infizierten" (auf einer Einwohnerzahl von 41.000) um Personen handelt, welche Krankheitssymptome oder welche einen sogenannten asymptomatischen Verlauf des Virusbefalls haben.
Was bedeutet das? Das bedeutet nichts anderes, als dass in Meran auf 2.561 Einwohner ein auf das neuartige Coronavirus positiv Getesteter kommt oder umgekehrt, die Wahrscheinlichkeit, dass einem Meraner Bürger in seiner Gemeinde ein Corona-positiv-Getesteter begegnet liegt bei 1 zu 2561.
Dabei sind die Corona-Zahlen im Sinken. Noch am 24. Februar 2021 meldete der Südtiroler Sanitätsbetrieb für Meran insgesamt 48 aktuell "Infizierte". Fünf Tage zuvor, am 19. Februar 2021, standen unter Meran in der Spalte mit den positiv Getesteten, abzüglich Geheilte und Verstorbene, noch 118 "Infizierte".
Dem aufmerksamen Leser der vom Südtiroler Sanitätsbetrieb veröffentlichen Daten gehen angesichts dieser Zahlen natürlich noch andere Fragen durch den Kopf. So beispielsweise: Wie wahrscheinlich ist es, wenn in Meran aktuell 16 Personen "infiziert" (positiv auf SARS-CoV-2 getestet) sind, dass ein Bürger mit einem dieser 16 positiv Getesteten in Kontakt kommt? Wenn die betreffenden 16 Personen, mit oder ohne Symptome, anzunehmender Weise sich in häuslicher Quarantäne befinden, dann sollte das Risiko an einer Corona-Infektion bei einer Wahrscheinlichkeit von 1:2561 doch auf ein Minimum reduziert sein.
Um nicht falsch verstanden zu werden. Hier wird nicht die Behauptung aufgestellt, dass die notwendigen allgemeinen Schutzmaßnahmen, wie das Tragen von geeigneten Schutzmasken, die Einhaltung der Abstandsregeln, die Empfehlung mehrmals am Tag sich die Hände zu waschen etc., überflüssig sind. Jedoch – und diese Frage sollte ihre Rechtfertigung haben – stellt sich die Frage, ob bei den aktuellen Infiziertenzahlen für die Stadt Meran (16 "Infizierte") noch die Verhältnismäßigkeit für einen besonders harten Lockdown gegeben ist, der die Bürger der Stadt in ihren eigenen Gemeindegrenzen gefangen hält und für notwendige Fahrten aus und in die Stadt einen verpflichtenden negativen Corona-Test nicht älter als 72 Stunden vorschreibt.
Tatsächlich – angesichts der aktuellen Zahlen – macht die de facto "Unter-Quarantäne-Stellung" der Stadt Meran durch eine Verordnung des Südtiroler Landeshauptmannes deutlich, dass die Maßnahme fern von jeder Verhältnismäßigkeit zu sein scheint.
Leider hat die Landespolitik zurzeit mit Meran ein leichtes Spiel. Grund dafür ist die Tatsache, dass Meran gegenwärtig keinen funktionierenden Gemeinderat und auch keine vom Volk gewählten politischen Vertreter hat, die im Ausschuss die Amtsgeschäfte der Gemeinde führen. Aufgrund des Scheiterns der Koalitions- und Regierungsbildung in Meran wird die Stadt seit 9. November 2020 von Anna Bruzzese, Präfektin in Ruhestand, kommissarisch verwaltet.
Und es ist davon auszugehen, hätte die Stadt eine reguläre politisch eingesetzte Verwaltung, dann hätten die Meraner auch eine starke politische Stimme, welche in der Lage wäre im Dialog mit dem Landeshauptmann und der Landesregierung das Beste für seine Bürger herauszuholen. So scheint das alles vergebens und wegen aktuell 16 "Infizierten" müssen über 40.000 Bürger innerhalb der Gemeindegrenzen eingesperrt sein.
Doch auch in den anderen Gemeinden, die von Landeshauptmann Arno Kompatscher mittels Notstandsverordnung zum Sperrgebiet erklärt worden sind, scheint es die Landespolitik mit dem Prinzip der Verhältnismäßigkeit nicht besonders genau zu nehmen. Insbesondere wird das deutlich, wenn man sich vergewissert, dass es mit Stand 26. Februar 2021 laut offiziellen Daten weder in Riffian noch in Kuens mit dem SARS-CoV-2-Virus infizierte Einwohner gibt. Oder das Beispiel St. Leonhard, wo aktuell von 3.569 Einwohnern entsprechend den Daten von Land und Sanitätsbetrieb insgesamt nur eine einzige Person als positiv getestet aufscheint. Ein anders Beispiel ist Lana. In der über 12.000 Einwohner zählenden Marktgemeinde kommen auf knapp 1.800 Einwohner, entsprechend der offiziellen Statistik vom 26. Februar, 7 auf das neuartige Coronavirus positiv Getestete.
Schauen wir aber auf die Zahlen im Detail:
Riffian
Riffian hat 1.394 Einwohner (Stand 31.12.2019). In Riffian gibt es laut Angaben des Südtiroler Sanitätsbetriebes (Stand: 26.06.2021) derzeit keine "Infizierte".
Moos in Passeier
Moos hat 2.066 Einwohner (Stand 31.12.2019). In Moos gibt es laut Angaben des Südtiroler Sanitätsbetriebes (Stand: 26.06.2021) derzeit 16 "Infizierte". In der Passeirer Gemeinde kommt demnach auf jeden 129. Einwohner eine positiv getestete Person.
St. Pankraz
St. Pankraz hat 1.541 Einwohner (Stand 31.12.2019). In der Ultner Gemeinde gibt es laut Angaben des Südtiroler Sanitätsbetriebes (Stand: 26.06.2021) derzeit 28 "Infizierte". Hier ist jeder 102. Einwohner mit dem neuartigen Coronavirus "infiziert".
Mals
Mals hat 5.287 Einwohner (Stand 31.12.2019). In Mals gibt es laut Angaben des Südtiroler Sanitätsbetriebes (Stand: 26.06.2021) derzeit 15 "Infizierte". Jeder 352. Einwohner von Mals ist aktuell positiv auf das Sars-CoV-2-Virus positiv getestet.
Lana
Lana hat 12.467 Einwohner (Stand 31.12.2019). In Lana gibt es laut Angaben des Südtiroler Sanitätsbetriebes (Stand: 26.06.2021) derzeit 7 "Infizierte". In Lana kommt auf 1.781 Einwohner eine positiv getestete Person.
St. Martin in Passeier
St. Martin in Passeier hat 3.244 Einwohner (Stand 31.12.2019). In der Passeirer Gemeinde gibt es laut Angaben des Südtiroler Sanitätsbetriebes (Stand: 26.06.2021) derzeit 19 "Infizierten". In St. Martin ist jede 170. Person aktuell positiv getestet.
Kuens
Kuens hat 386 Einwohner (Stand 31.12.2019). In Kuens gibt es laut Angaben des Südtiroler Sanitätsbetriebes (Stand: 26.06.2021) derzeit keine "Infizierten".
St. Leonhard in Passeier
St. Leonhard in Passeier hat 3.569 Einwohner (Stand 31.12.2019). In St. Leonhard gibt es laut Angaben des Südtiroler Sanitätsbetriebes (Stand: 26.06.2021) derzeit 1 "infizierte" Person.
Hinweis zur Verhinderung der Verbreitung von Falschinformationen:
Landeshauptmann Arno Kompatscher ruft Institutionen und Journalisten, angesichts der Masse sowie der Qualität der Falschmeldungen, zur Sorgfalt auf und sich Informationen beim "Land Südtirol" und beim Südtiroler Sanitätsbetrieb zu holen. VOX NEWS Südtirol erklärt: Als Grundlage für diesen Artikel stützen wir uns auf Daten und Angaben, welche vom "Land Südtirol" und vom "Südtiroler Sanitätsbetrieb" selbst veröffentlicht worden sind.
Im Detail:
Alle Tabellen, erstellt und veröffentlicht vom Südtiroler Sanitätsbetrieb, sind auch unter "Zugeordnete Dateien" aufrufbar.